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Kommentar
Date
14. März 2025

Das Borchert-Konzept bleibt richtig

Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit können nach Überzeugung von Prof. Harald Grethe und Dr. Christine Chemnitz von der Denkfabrik Agora Agrar Hand in Hand gehen. Eine starke Land- und Forstwirtschaft ist aus Sicht der beiden Agora Agrar-Direktoren zentral, um in Deutschland Klimaneutralität zu erreichen. Preisanreize für eine nachhaltigere Ernährung unterstützen den Anbau von Obst und Gemüse in Deutschland.

Veränderungsprozesse in geopolitisch instabilen Zeiten zu gestalten ist herausfordernd, aber landwirtschaftliche Betriebe brauchen Planungssicherheit für langfristige Entscheidungen. Deshalb braucht es jetzt pragmatische und mutige politische Gestaltung, die die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft in Deutschland stärkt. Nur so kann Deutschland als produktiver Agrarstandort seiner globalen Verantwortung gerecht werden. 

Dafür sind drei Prämissen zentral: 

1. Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit gehen Hand in Hand, wenn Landwirtinnen und Landwirte für die Produktion öffentlicher Güter entlohnt werden und Bürokratie handhabbar gestaltet wird. 
2. Das Ziel der gesamtwirtschaftlichen Klimaneutralität ist eine Chance für die Landwirtschaft, denn andere Sektoren, wie etwa der Bausektor, werden zunehmend nachhaltig produzierte Biomasse nachfragen. 
3. Neben einer produktiven Landwirtschaft stärkt auch ein nachhaltiger Konsum die strategische Autonomie der EU. 

Um gesellschaftliche Nachhaltigkeitsziele wie Biodiversitäts- und Klimaschutz zu erreichen, sollte die GAP – wie von der ZKL empfohlen – stärker als bisher zur Entlohnung öffentlicher Leistungen eingesetzt und die Basisprämie schrittweise abgebaut werden. Auch das Prinzip der kooperativen Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen sollte in Deutschland stärker gefördert werden, etwa durch eine bessere Verankerung in der Gemeinschaftsaufgabe. So werden landwirtschaftliche Betriebe und Umweltakteure stärker in die Planung und Umsetzung von Maßnahmen einbezogen und Ziele kosteneffizienter und mit weniger administrativem Aufwand erreicht. Außerdem braucht es eine effiziente Düngepolitik, die auf einzelbetriebliche Nährstoffbilanzierung setzt und Detailregelungen für rote Gebiete, Düngeplanung und Dokumentation entschlackt. 

Eine starke Land- und Forstwirtschaft ist zentral, um in Deutschland Klimaneutralität zu erreichen. Deshalb ist der Erhalt der Mittel des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz (ANK) und die Fortführung und Weiterentwicklung dieser Maßnahmen für beide Sektoren von großer Bedeutung. ANK-Mittel können die Wiedervernässung von Mooren durch Prämien und die Entwicklung von nassen Wertschöpfungsketten zu einer wirtschaftlichen Chance machen. Zudem können sie einen Beitrag zum Waldumbau leisten und Anreize für Gehölze in der Agrarlandschaft finanzieren, die zur Kohlenstoffspeicherung, Biodiversität und der Bereitstellung von Biomasse für die Bioökonomie beitragen. 

Gleichzeitig entsteht ein großer Teil der landwirtschaftlichen Emissionen in der Nutztierhaltung. Die nächste Bundesregierung sollte daher Anreize für den Einsatz treibhausgasmindernder Technologien in der Tierhaltung schaffen. Hinzu kommt, dass sich die gesellschaftlichen Ansprüche an die Tierhaltung verändern und die Perspektiven für die Branche unsicher sind. Deshalb bleibt das Borchert-Konzept weiterhin der richtige Ansatz: Die verpflichtenden Tierwohlstandards werden schrittweise erhöht, während Investitionsförderung und langfristige Tierwohlprämien die Mehrkosten ausgleichen. Gleichzeitig würde das System der verpflichtenden staatlichen Haltungskennzeichnung von einer Vereinfachung und besseren Kompatibilität mit der privatwirtschaftlichen Kennzeichnung profitieren. Es sollte weitere Verarbeitungsstufen und Tierarten umfassen und erlauben, Fleisch aus höheren Haltungsstufen auch in niedrigeren Stufen zu vermarkten. Eine Option wäre, auf das staatliche Kennzeichen zu verzichten, aber Anforderungen an die nicht-staatliche Kennzeichnung zu formulieren. Somit entfiele eine doppelte Kennzeichnung. 

Schließlich kann eine über Ressorts, Sektoren und Politikebenen hinweg integrierte Ernährungspolitik zu einer effizienten Ressourcennutzung, wirtschaftlichen Chancen für die Landwirtschaft und zur menschlichen Gesundheit beitragen. Die Bundesregierung könnte etwa eine nationale Kompetenzstelle zur Reduktion von Lebensmittelabfällen einrichten, Kommunen durch eine Servicestelle beraten und unterstützen und ein Bundesprogramm für eine gesundheitsfördernde, nachhaltige und sozial gerechte Kita- und Schulverpflegung auf den Weg bringen. Zudem wären Preisanreize für eine nachhaltigere Ernährung sinnvoll – etwa durch eine schrittweise Anhebung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte – wie von der ZKL vorgeschlagen – und eine Absenkung des Steuersatzes auf Obst und Gemüse.

Es besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens, eine Erhöhung des Obst- und Gemüsekonsums zu empfehlen. Hier liegen Chancen für die Landwirtschaft, denn die Wertschöpfung von Obst und Gemüse pro Flächeneinheit ist hoch. Allerdings steht der Anbau von Obst und Gemüse in Deutschland unter hohem Kostendruck und der Selbstversorgungsgrad liegt unter 40 Prozent. Ein Bundesprogramm könnte den Absatz von in Deutschland produziertem Obst und Gemüse in der Gemeinschaftsverpflegung fördern, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Obst- und Gemüseanbau verbessern und den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten unterstützen.

Erschienen in einer Reihe in AGRA Europe zu den Erwartungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an die Agrar- und Ernährungspolitik der neuen Bundesregierung.